Die Energiebranche befindet sich im Spannungsfeld zwischen Stabilität, Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Anforderungen. Die Fähigkeit, die Infrastruktur maximal verfügbar und leistungsfähig zu halten, ist entscheidend für Netzstabilität, Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Effizienz. Das ganzheitliche Instandhaltungskonzept Total Productive Maintenance (TPM) bietet ein Framework für vorbeugende Wartung, kontinuierliche Optimierung und die enge Einbindung der Mitarbeitenden.
Mit dem Aufkommen neuer technologischer Möglichkeiten durch sensorbasiertes Condition Monitoring in Kombination mit prädiktiver und generativer Künstlicher Intelligenz verändert sich die Rolle von TPM grundlegend. Echtzeitdaten aus Anlagen und Netzen ermöglichen eine kontinuierliche Zustandsüberwachung, bei der KI-gestützte Vorhersagemodelle frühzeitig Muster erkennen, die auf bevorstehende Störungen oder Effizienzverluste hinweisen. Generative KI liefert detaillierte Fehlerbehebungsanleitungen, präzise Inspektionshinweise und verständliche Ursachenanalysen für potenzielle Störungen. In Kombination mit einer eventgesteuerten Automatisierung, können Steuerungssysteme sofort auf Abweichungen reagieren und präventive Maßnahmen ausführen. Damit wird TPM im Energiesektor zu einem integrativen System, das vorausschauende Instandhaltung, Field-Service-Unterstützung, intelligente Entscheidungsfindung und automatisierte Umsetzung nahtlos verbindet.
Digitale Zwillinge für Total Productive Maintenance
Ein Digitaler Zwilling ist eine digitale Repräsentation eines physischen Systems, welche kontinuierlich mit Echtzeitdaten gespeist wird, um Analyse, Simulation und Optimierung zu ermöglichen. Oft wird der Begriff jedoch missverstanden, denn ein Digitaler Zwilling muss nicht zwingend eine einzelne Softwarelösung oder primär eine visuelle Darstellung der Realität sein. Vielmehr handelt es sich um ein verteiltes, datengetriebenes System, das das physische System kontinuierlich überwacht, sein Verhalten abbildet, zukünftige Zustände vorhersagt und darauf basierend Handlungsvorschläge unterbreitet oder automatisierte Prozesse einleitet. Eine KI-gestützte, echtzeitdatenbasierte Total-Productive-Maintenance-Lösung erfüllt genau diese Kriterien, da sie Betriebsdaten integriert, Analysen durchführt und vorausschauende Wartungsmaßnahmen ermöglicht. Damit erfüllt diese die Definition eines Digitalen Zwillings.
Die Forschenden am Institutsteil des Fraunhofer IIS in Dresden erarbeiten die technologische Basis für die Entwicklung und Umsetzung Digitaler Zwillinge. Sie entwickeln Methoden zum Erstellen von Digitalen Zwillingen aus strukturierten sowie unstrukturierten Daten. Aufbauend auf diesen Digitalen Zwillingen bieten die vom Fraunhofer IIS entwickelten Algorithmen die Möglichkeit, den Zustand von Assets zu überwachen, deren Betriebsführung zu optimieren und passende Wartungszeitpunkte vorherzusagen.
Ein Digitaler Zwilling für TPM darf nicht als monolithisches betrachtet werden, sondern ist ein stark verteiltes System. Eine solche Lösung besteht dabei aus Komponenten, die sowohl im Rechenzentrum oder der Cloud als auch direkt in Operative-Technologie-Anlagen (OT-Anlagen) im Edge-Umfeld angesiedelt sind, und umfasst zudem Integrationen mit Geräten und Sensorik. Gerade diese Vielfalt an Infrastruktur erfordern eine Plattform, die sich einheitlich über alle Umgebungen erstreckt. Diese Plattform dient als Konsistenzschicht, die Stabilität, Kompatibilität und Governance sicherstellt und gleichzeitig optimal auf die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Umgebungen abgestimmt ist. Red Hat bietet die marktführende Hybrid/Multi-Cloud-Plattform, die von On-Premises über Public und Sovereign Clouds bis hin zu entfernten Edge-Standorten eine durchgängige Konsistenzschicht für Innovation schafft. Dadurch lassen sich KI-Modelle und Automatisierungs-Workflows kontinuierlich entwickeln, verteilen, aktualisieren und betreiben.
Für einen Digitalen Zwilling reicht keine einzelne Kaufsoftware. Es ist essentiell, die gesamte IT konsequent mit der OT-Welt zu einem interoperablen Gesamtsystem zusammenzuführen und zu harmonisieren. Dabei genügt es nicht, isolierte Automatisierungsabläufe zu programmieren; erforderlich ist vielmehr eine unternehmensweite Kultur der teamübergreifenden Automatisierung. Diese Kultur sollte auf einer zentralen Plattform etabliert werden, auf der alle Teams gemeinschaftlich und transparent Prozesse entwickeln, optimieren, sichern und steuern können. Durch einen Infrastructure-as-Code-Ansatz wird somit ebenfalls Security und Compliance Governance vereinfacht und verstärkt. Nur durch diese integrative Herangehensweise entstehen nachhaltige Synergien zwischen IT und OT, die langfristig Mehrwert schaffen. Red Hat bietet hierfür eine Plattform, die kollaborative Automatisierung über verschiedene IT-Ebenen hinweg ermöglicht und somit die Skalierbarkeit, Effizienz und Zukunftsfähigkeit von Digitalen Zwillingen erheblich verbessert.
AI und Automation Lab
Die Entwicklung und Implementierung von KI- und Automatisierungslösungen für Total Productive Maintenance im Energiesektor ist ein komplexes Unterfangen. Die in diesem Artikel dargestellten Aspekte beleuchten einen Teil der Herausforderungen und Chancen, die Vielseitigkeit der Anwendungsfälle und branchenspezifischen Anforderungen gehen jedoch weit darüber hinaus. Genau hier setzt die Zusammenarbeit des Fraunhofer IIS mit Red Hat an: Gemeinsam bieten die Partner eine umfassende Kompetenz – von der Infrastruktur bis zur Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen.
Als erster Einstiegspunkt dient ein Workshop mit Forschern des Institutsteils Entwicklung Adaptiver Systeme des Fraunhofer IIS und Red Hat, in dem Energieunternehmen mögliche Anwendungsfälle skizzieren, Herausforderungen näher beleuchten und geeignete Ansätze zur Umsetzung diskutieren können.
Zur Umsetzung konkreter Projekte bieten die Kooperationspartner ein Joint AI & Automation Lab an. Red Hat stellt die skalierbare Plattform-Infrastruktur bereit, während Fraunhofer IIS die Projektleitung sowie die Forschung und Entwicklung der KI- und Automatisierungskomponenten übernimmt. Diese enge Zusammenarbeit ermöglicht die Entwicklung innovativer, praxisnaher und produktiv einsetzbarer Lösungen.
Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, Institutsteil Entwicklung Adaptiver Systeme