Im März 2025 gründete die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD) den Chiplet Application Hub. Der Hub soll zu einem bedeutenden nationalen Zentrum für die Weiterentwicklung der Chiplet-Technologie ausgebaut werden und die Mikroelektronik-Forschung in Europa stärken. Das erste Cluster des Hubs ist das Chiplet Center of Excellence, welches 2023 in Dresden gegründet wurde. Center-Leiter Andy Heinig erklärt im Interview, wie die Chiplet-Forschung von einem starken Ökosystem profitiert.

Was ist der Chiplet Application Hub?
Andy Heinig: Mit dem Chiplet Application Hub hat die Forschungsfabrik Mikroelektronik einen nationalen Hub für die Entwicklung und Anwendung von Chiplet-Technologien gegründet. FMD und Industriepartner aus verschiedenen Bereichen des Halbleiter-Ökosystems bündeln im Hub ihre Kompetenzen, um gemeinsam neue Chiplet-Lösungen für Anwendungen im Automotive- und Automatisierungs-Umfeld, aber auch im High-Performance-Computing zu schaffen. Es werden konkrete Entwicklungs-Roadmaps und Pilotprojekte entstehen, die gezielt auf die Anforderungen der Industrie zugeschnitten sind. Die Industriepartner bringen dazu Eigenbeiträge ein, um Chiplet-Innovationen zusammen mit der FMD voranzutreiben. In Kombination mit den technologischen Möglichkeiten der Pilotlinie »Advanced Packaging and Heterogeneous Integration for Electronic Components and Systems« (APECS) können so neue Fertigungstechnologien, Designmethoden und Standards, sowie Vorschläge für die Standardisierung der Chiplet-Technologie entwickelt sowie Prototypen erprobt werden.
Wie ergänzen sich die Arbeiten des Chiplet Center of Excellence und des Chiplet Application Hubs?
Der Chiplet Application Hub soll in enger Vernetzung mit der Anwender-Industrie eine Brückenfunktion einnehmen und langfristig als Portal für die breite Anwendung der APECS-Technologien vorbereiten und an mögliche Anwender heranführen. Dazu werden innerhalb des Hubs thematische Cluster gebildet, die sich bestimmten technologischen Schwerpunkten (z.B. Design, Systemintegration, Mikromechanik, Photonics) bzw. branchenspezifischen Anforderungen an künftige Elektroniksysteme widmen. In diesen Clustern werden mit Blick auf konkrete Zielapplikationen oder Use Cases Bedarfe analysiert, Lösungsoptionen erarbeitet und konkrete Lösungen geschaffen.
Das Chiplet Center of Excellence (CCoE) wurde im Verbund von drei Fraunhofer-Instituten der FMD aufgebaut. Die Leitung hat der Institutsteil Entwicklung Adaptiver Systeme des Fraunhofer IIS. Das CCoE stellt mit dem Fokus auf Systemintegrationstechnologien und der Betrachtung von Architekturen, Design, Fertigung und Zuverlässigkeit ein erstes Cluster innerhalb des Chiplet Application Hubs dar.
Welche speziellen Forschungsleistungen bietet das Chiplet Center of Excellence?
Im Chiplet Center of Excellence werden speziell die Fähigkeiten in den Bereichen Designmethodik, Integrationstechnologien (von Chiplet über Interposer/Package-Level bis Board) und Charakterisierung/Test/Zuverlässigkeit für den Anwendungsfall Automotive gebündelten. Da das CCoE schon seit 2023 arbeitet, konnte bereits das für den Chiplet Application Hub skizzierte Modell der engen Interaktion mit der Industrie erprobt werden.
Im Mittelpunkt steht dabei eine methodische Herangehensweise, mit der eine frühzeitige gesamtheitliche Bewertung – von der Architektur bis zur robusten und zuverlässigen Packagetechnologie – von Chiplet-basierten Systemen unter technischen und insbesondere wirtschaftlichen Aspekten möglich wird. Dazu werden Daten für die oben genannten Teilbereiche erfasst und in Form eines Digitalen Zwillings miteinander verknüpft und analysiert.
Im Chiplet Center of Excellence wird vor allem darauf geachtet, dass die zu entwickelnden Chipletlösungen die Kostenanforderungen der Industrie berücksichtigen. Dazu werden von Beginn an entsprechende Kostenuntersuchungen und Kostenbetrachtungen durchgeführt. Weiterhin werden die spezifischen Anforderungen der Automobilindustrie an die Chipletlösungen bei allen Analysen und Konzepten berücksichtigt, da es sich in der Zwischenzeit klar herauskristallisiert, dass wir in Zukunft applikationsspezifische Chipletlösungen benötigen. Das beginnt mit den Packagelösungen, damit verbunden mit den entsprechend angepassten Chiplet-Interface Konzepten und damit auch eng verknüpft den entsprechenden Systemkonzepten.
Die Arbeiten werden ergänzt durch die Forschung des belgischen Zentrums »imec«, welches in Heilbronn eine Forschungsgruppe für Chiplet-Architekturen im High-Performance-Computing für den Automotive-Bereich aufbauen wird. Um ihr Potenzial optimal zu nutzen, bündeln beide Partner ihre Kräfte und haben ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, um eine gemeinsame strategische Ausrichtung zu etablieren.
Das Chiplet Center of Excellence konzentriert sich auf die Automobilindustrie. Welche Vorteile haben Automotive-Anwendungen von der Chiplet-Technologie?
Die Potentiale von Chiplet-Technologien können speziell in Automotive-Anwendungen und der sich dort vollziehenden Transformation der Elektronik-Architekturen hin zu zentralisierten Steuerungsfunktionalitäten besonders effektiv genutzt werden. Zum einen bezüglich besser Flexibilität und Skalierbarkeit. So erfordert die Konvergenz von Fahrzeugfunktionen wie Fahrerassistenzsystemen und Fahrzeug-Infotainment neben stärkerer Rechenleistung auch eine höhere Flexibilität beim Zuschnitt auf Fahrzeugklasse und zu realisierender Funktionalität, zum Beispiel bezüglich des Levels des autonomen Fahrens welches durch die Chipletsysteme realisiert werden kann.
Zum anderen hinsichtlich der Energieeffizienz: Autonomes Fahren in Level 3 und höher erfordert hohe Rechenleistung, die bei konventionellen Systems-on-a-Chip (SoCs) mit hohen Verlustleistungen einher geht. Chiplets erlauben, auf Grund der Partitionierung in verschiedene Schaltkreistechnologien, effizientere Lösungen, die sich positiv auf elektrische Reichweite und die Systemkosten für Kühlkonzepte auswirkt.
Zusätzlich bietet die Chiplet-Technologie Vorteile hinsichtlich der Robustheit der Lieferketten. Sensor-Komponenten im Auto sind durch hohe Variantenvielfalt geprägt. Durch Chiplet-basierte Ansätze lassen sich die Modularisierung von Funktionen und ein flexibler Zuschnitt auf die konkrete Anwendung sowie ein höherer Grad der Wiederverwendung erreichen.
Der Nutzen ergibt sich oftmals nicht direkt durch die Chiplet-basierte Komponente selbst, sondern durch die Möglichkeit, neuartige Systemkonzepte zu realisieren.
Sind die Forschungsergebnisse auch für andere Branchen nutzbar?
Aufgrund der starken methodischen Ausrichtung der Arbeiten in den Bereichen Systemdesign und Design-Flow können die Ergebnisse des Chiplet Center of Excellence auch für andere Anwendungsfelder wie Industrie sowie Luft- und Raumfahrt genutzt werden. Die Angebote richten sich an eine breite Gruppe von Anwendern die an Chipletlösungen interessiert sind und adressieren dabei auch die Bedarfe von KMUs.
Wer kann im Chiplet Center of Excellence teilnehmen?
Am CCoE können Industrievertreter, Partner aus Zertifizierungsbehörden sowie Partner von Standardisierungsorganisationen teilnehmen. Das umfasst beispielsweise Chiphersteller sowie auch Vertreter aus der Automotive-Branche. Der Ansatz ist, relevante Forschungsfragen in interdisziplinären Teams zu bearbeiten und ein breit nachnutzbares Portfolio an Basislösungen (z.B. Workflows, Modellbibliotheken, Teststrukturen etc.) bereitzustellen. Alle Forschungsaktivitäten im CCoE werden dabei von der beteiligten Industrie definiert, überwacht und gesteuert. Dadurch wird eine klare Ausrichtung auf die Anforderungen der Industrie gewährleistet. Auf der Grundlage der Ergebnisse können die Partner differenzierende Projekte für die Entwicklung ihrer eigenen Produkte und Technologien ableiten.
Ab wann können Firmen von den Forschungsergebnissen profitieren?
Da das CCoE schon seit Ende 2023 existiert, sind schon Ergebnisse vorhanden. Zum einem gab und gibt es regelmäßige Industrieworkshops die zur engen Vernetzung und dem Austausch der interessierten Industriepartner dienen.
Weiterhin wurden Ergebnisse im Bereich der Architekturen sowie der Kostenmodellierung erreicht. Diese Ergebnisse wurden im engen Austausch mit der Industrie erzielt und dabei wurden auch immer wieder Anpassungen nach den Wünschen der Industrie vorgenommen. Weiterhin wurden im Bereich der Package-Lösungen Ergebnisse vorgestellt, die auf der einen Seite die Produktion betreffen, aber auf der anderen Seite auch die Charakterisierung und die entsprechende Modellbildung für die elektrische und thermische Modellierung.
Weiterhin gab es nach Abstimmungen mit der Industrie deutliche Fortschritte im Bereich der Chiplet-Interfaces, insbesondere auch für die Einbindung älterer Schaltkreistechnologie welche aber gerade im Bereich Automotive noch lange ihre Berechtigung haben.
Weiter Arbeiten laufen aktuell und wir werden weiterhin und stetig über die Fortschritte berichten. Dazu dienen vor allem auch unsere Industrieworkshops in denen weitere interessierte Partner gerne teilnehmen können.